Die Stadtverwaltung hat auf unsere Anfrage zu Demonstrationsformen während der Corona-Zeit geantwortet. Leider ist es nicht möglich, pauschale Antworten zu Auflagen zu verschiedenen Demonstrationsarten zu geben. Dies muss in einer Einzelfallabwägung entschieden werden. Das Amt für Öffentliche Ordnung ist aber bemüht, hier kooperativ mit den Veranstalter*innen Lösungen zu finden.

Sehr geehrter Herr Fraktionsvorsitzender Schmidt, sehr geehrte Frau stellv. Fraktionsvorsitzende Kessl,

Ihre Anfrage vom 21.04.2020 an Herrn Oberbürgermeister Horn zu Demonstrations- formen in Corona-Zeiten habe ich zur zuständigen Prüfung und Beantwortung erhalten. In der Videokonferenz Dezernat IV am 21.04.2020 hatte Herr Dr. Funk bereits Informationen zum Beschluss des BVerfG vom 17. April 2020 gegeben. Dabei hatte er dargestellt, dass bei jeder Versammlung eine Einzelfallprüfung erforderlich ist. Das Amt für öffentliche Ordnung legt dabei viel Wert auf einen kooperativen Rahmen.

Die in Ihrer Anfrage dargestellten Sachverhalte hat das zuständige Amt für öffentliche Ordnung (AföO) zwischenzeitlich geprüft, so dass ich anhand der mir vorliegenden Informationen Ihre konkreten Fragen wie folgt beantworten kann:

1. Welche Formen der politischen Meinungsäußerung sind aktuell unter welchen Auflagen möglich?

  • a. klassische Demonstrationen mit 1,5 m Mindestabstand und ggf. Mund- und Nasenschutzpflicht?
  • b. Fahrrad-Demonstrationen mit mind. 1,5 m Abstand?
  • c. Autokorsos?
  • d. sogenannte „stille Mahnwachen“ durch Ablegen von politischen Botschaften, Blumen, Kerzen, etc. auf städtischen Plätzen?
  • e. Errichten von „leeren Infoständen“ an denen ohne Personal Informationen ausliegen?
  • f. Hinterlassen von politischen Botschaften mit Straßenkreide auf Plätzen und Straßen?

Die Versammlungsbehörde trägt dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in besonderem Maße Rechnung. Dies erfordert eine eingehende Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls, beispielsweise der jeweiligen örtlichen Verhältnisse. Die Stadtverwaltung kann deshalb weder eine „Positiv-Liste“ von zulässigen Versammlungsformen, noch eine Aufzählung nicht zulässiger Versammlungen erstellen. Eine solche Vorgehensweise widerspricht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

Für unsere, vom Bundesverfassungsgericht eingeforderten, Einzelfallentscheidungen dienen unter anderem die Größe der Versammlung (Zahl der Teilnehmer_innen), die örtlichen Verhältnisse, ob die Versammlung stationär (ortsfest) stattfindet oder sich fortbewegt, die zeitliche Dauer und die von den Veranstalter_innen vorgesehenen Schutzmaßnahmen, wie z. B. Abstand untereinander und Verwenden von Mund-Nasen-Schutz, als maßgebliche Anhaltspunkte.

Ohne dass dies für alle Versammlungen zwingende Kriterien sind, lassen sich z.B. Abstandsregeln bei einer ortsfesten Versammlung besser gewährleisten als bei einer sich fortbewegenden. Gleiches gilt für den Vergleich zwischen einer kleinen, eng bebauten oder stark frequentierten Stelle und einem großen, weitläufigen Platz.

Für eine Versammlung im rechtlichen Sinne ist eine zwingende Voraussetzung, dass mehrere Menschen gemeinschaftlich ihre Auffassung vertreten; folglich müssen sie auch anwesend sein. Die unter Buchstaben d bis f genannten Aktionsformen ohne persönliche Anwesenheit stellen keine Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes dar. Sie können deshalb nicht das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Anspruch nehmen.

2.  Ist es möglich, für die Zeit der Infektionsschutzmaßnahmen kostenlose Sondernutzungserlaubnisse für das Anbringen von Plakaten mit politischen Meinungsäußerungen unter ähnlichen Auflagen wie bei Wahlen zu erteilen?

Die politische Plakatierung im öffentlichen Raum ist den Akteur_innen vorbehalten, die bei öffentlichen Wahlen kandidieren. Das Recht der politischen Meinungsäußerung ist, wie unter Punkt 1 dargelegt, nicht eingeschränkt.

3. Sind der Stadtverwaltung weitere Formen der analog sichtbaren politischen Meinungsäußerung bekannt, die aktuell genehmigungsfähig wären?

Das AföO hat hierüber keine eigenen Erkenntnisse.

4. Ist es möglich, einen Leitfaden für Veranstalter_innen von Demonstrationen zu veröffentlichen, in dem mögliche Demonstrationsformen mit den entsprechenden Auflagen genannt werden?

Das Bundesverfassungsgericht verlangt in seinen aktuellen Entscheidungen, dass die Versammlungsbehörde die konkreten Umstände eines jeden Einzelfalls bewertet. Dies schließt eine Festlegung in der hier gewünschten Form, wie bereits dargelegt, aus.

Das Land Baden-Württemberg hat in seiner Corona-Verordnung vom 17. März 2020 unter anderem geregelt, dass der Aufenthalt im öffentlichen Raum nur alleine, zu zweit oder mit Angehörigen des eigenen Haushalts gestattet ist. Zu anderen Personen ist im öffentlichen Raum, wo immer möglich, ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten (§ 3 der Corona-Verordnung). Von diesem Kontaktverbot waren zu- nächst nach allgemeinem Verständnis grundsätzlich auch Versammlungen betroffen, bei denen üblicherweise mehr als zwei Personen zusammenkommen.

Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren aktuellen Entscheidungen festgehalten, dass die Behörden trotz der coronabedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes im Rahmen einer Ermessensentscheidung Rechnung tragen müssen. Dabei kommt es auf die Bewertung jeder Versammlung im Einzelfall an (BVerfG, Beschluss vom 15.04.2020, Az. 1 BvR 828/20 und Beschluss vom 17.04.2020, Az. 1 BvQ 37/20).