Gehalten in der Gemeinderatsitzung am 29.09.2020

Sehr geehrter Oberbürgermeister Horn, liebe Anwesende,

www.jupi-freiburg.de Foto: Felix Groteloh

„Wir in Freiburg“ heißt das neue Leitbild der Stadt Freiburg zum Thema Migration und Integration. Und das Schönste daran ist, dass man tatsächlich sagen kann, dass es gemeinsam mit sehr vielen, verschiedenen Freiburger*innen und Freiburgern gestaltet wurde. 

Der breite Beteiligungsprozess war deshalb so wichtig, weil so ein Leitbild nur dadurch an Wirkung und Leben gewinnt, wenn möglichst viele Menschen in unserer Stadt sich aktiv dazu bekennen. 

Migration, Flucht und Integration waren in den letzten Jahren Themen, die gesamtgesellschaftlich teilweise extrem kontrovers verhandelt wurden. Gerade deshalb ist es wichtig, dass es davor einen Prozess gibt, bei dem gemeinsame Ziele ausgehandelt werden, auf die wir alle hinarbeiten wollen. Ich finde es ermutigend, dass sich heute alle demokratischen Fraktionen hinter diesem Leitbild versammeln, denn ich finde das Ergebnis ist eines, worauf wir als Demokraten und Demokratinnen stolz sein können. 

In diesem Zuge möchte ich der Stadtverwaltung, ganz besondere dem Amt für Migration und Integration sowie stellvertretende für die Zivilgesellschaft auch dem Migrant*innenbeirat der Stadt Freiburg herzlich danken, dass sie so viel Zeit und Mühe in diesen wichtigen Baustein für eine bessere Zukunft gesteckt haben.

Was aber auch klar sein muss: Das Leitbild ist erst mal nur ein toller Text, aber dabei darf es nicht bleiben. Freiburg ist heute keine Stadtgesellschaft, wie wir sie uns wünschen und teilweise sind wir noch nicht mal auf den Weg dahin. 

Wir schreiben: „Die Basis unseres Zusammenlebens sind Demokratie und das Grundgesetzt“, aber in der Landeserstaufnahmestelle in unserer Stadt wird nicht nur Artikel 13 unseres Grundgesetzes, die Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung, regelmäßig ignoriert.

Wir schreiben: „Alle Freiburger sollen ohne irgendeinen Unterschied ihre Lebensentwürfe entfalten können“, aber dass das auf 7 Quadratmeter pro Person in Geflüchtetenwohnheimen nicht möglich ist, weiß eigentlich auch jeder.

Wir schreiben: „Wir in Freiburg möchten eine offene und vielfältige Stadt sein, die Position gegen Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art bezieht“, aber wenn in unserer Partnerstadt queere Menschen gehängt und die Vernichtung von jüdischem Leben propagiert werden, dann schweigt eine Mehrheit hier sehr, sehr laut.

Außerdem berichten Freiburger*innen mit schwarzer Hautfarbe über die gleichen Anfeindungen, wie schwarze Mitbürger*innen aus anderen Städten dieser Republik. Transsexuelle Mitbürger*innen werden hier auf offener Straße angefeindet.

Und auch in Freiburg muss die Synagoge polizeilich geschützt werden, da es immer wieder zu antisemitischen Übergriffen kommt.

Das Leitbild ist ein guter, wichtiger Text und ich weiß, dass in der Stadtverwaltung ganz viel unternommen wird, um es auch wirklich umzusetzen. Und mir ist auch klar, dass viele der angesprochenen Probleme nicht allein auf kommunalpolitischer Ebene gelöst werden können. Ich glaube nur: Wenn wir das Leitbild nicht als Motivation für uns alle verstehen, es trotzdem immer weiter zu versuchen, dann wäre es kein gutes Leitbild, sondern lediglich ein Standbild.