Sehr geehrter Oberbürgermeister Martin Horn,

sehr geehrte Damen und Herren,

Ramon Kathrein

vor fast genau einem Jahr hatten wir hier im Gemeinderat Besuch. Irene Schäuble war hier, die Tochter von Else Wagner, zu deren Gedenken wir eine Straße benannt haben. Else Wagner steht stellvertretend für die Freiburger Opfer der Euthanasie in der NS-Zeit.

Frau Schäuble hat die Enthüllung der Straßenschilder noch erlebt und konnte ihren persönlichen Kampf für die Anerkennung des unerträglichen Leids, welches hunderttausenden Familien angetan wurde und den sie sich erst im hohen Alter getraute aufzunehmen, beenden. Ich hatte sie als meine Nachbarin kennengelernt und ihre Bemühungen um Aufklärung und Gerechtigkeit stets bewundert. Nur wenige Tage nach der Enthüllung der neuen Straßenschilder ist sie verstorben.

Warum erwähne ich diese emotionale Begebenheit? Es ist gerade einmal 80 Jahre her, dass Menschen mit Behinderung in Deutschland noch als lebensunwert galten und ausgemerzt wurden. Die Folgen dieser Verbrechen sind bis heute spürbar, zum Beispiel, wenn wir jetzt erst anfangen darüber nach zu denken, wie Menschen mit Behinderung ihre Freizeit im Alter gestalten wollen. Bis vor kurzem gab es in Deutschland schlicht kaum alte Behinderte.

Nach dem Krieg folgten Jahrzehnte in denen behinderte Menschen durch ein staatliches Fürsorgesystem aufgefangen und behütet wurden. Dieses findet in sehr vielen Fällen noch heute Anwendung. Diese Einteilung wurde quasi von der Geburt bis zum Tod beibehalten. Erst der Schulkindergarten, dann die Sonderschule, dann die Werkstatt, dann das Pflegeheim.

Wer nicht in dieses System passte oder einen eigenen Weg gehen wollte, war bis vor wenigen Jahren ziemlich chancenlos. Lediglich ein paar ganz kämpferische Individuen schafften es, aus dem System auszubrechen und ihren eigenen Weg zu gehen. Wer jedoch auf Unterstützung im Alltag angewiesen war, hatte praktisch keine Möglichkeit ein selbständiges und unabhängiges Leben zu führen.

Diese gewollte Separierung führte unweigerlich auch dazu, dass sich niemand sonst Gedanken darüber machen musste, wie behinderte Menschen sich in der Gesellschaft zurechtfinden und an alltäglichen Dingen teilhaben könnten. So wurde keinerlei Rücksicht auf die bauliche Barrierefreiheit genommen, die komplette Infrastruktur von Schulen, Verwaltung, ÖPNV, sogar Krankenhäuser wurden lediglich für die Belange körperlich gesunder Menschen ausgelegt und gebaut. Treppenstufen an allen möglichen und unmöglichen Orten gehörten zum Alltag. Mobilitätseingeschränkte Menschen kamen im Denken der Planer*innen einfach nicht vor, sie waren ja auch im Stadtbild nicht sichtbar.

All das ändert sich seit einigen Jahren rasant, zu rasant für die vielen baulichen Mängel, die es noch immer zu beseitigen gilt, auch wenn Freiburg hier in den letzten Jahren massive Fortschritte erzielt hat. Im Jahr 2008, als ich nach Freiburg kam, starteten wir gefühlt bei 0, mittlerweile haben wir schon ein Gutteil des Weges zu einer barrierefreien Stadt hinter uns gebracht. Wir haben alle viele Lernprozesse hinter uns, Herr Prof. Haag weiß, wie viele Diskussionen es in den letzten Jahren zwischen der Bauverwaltung und dem Behindertenbeirat gab, nicht immer wurden Lösungen gefunden, die für alle zufriedenstellend waren, manchmal sind eben andere Stimmen noch etwas lauter gewesen, aber wie man am aktuellen Aktionsplan ablesen kann, werden wir sukzessive besser und die Stadt jedes Jahr ein Stück barrierefreier.

Ein paar der Meilensteine möchte ich hier nennen:

Zum einen hat die Stadtbau den Maßnahmenkatalog für barrierefreies Bauen in ihre Bauplanung implementiert, dieser geht weit über die gesetzlichen Normen hinaus, insbesondere in den allgemein zugänglichen Bereichen von Wohnhäusern.

Es wurden mehrere Bus- und Straßenbahnhaltestellen barrierefrei umgebaut und Lichtsignalanlagen umgerüstet, sodass auch blinde Menschen diese nutzen können.

Die „Assistenzhund Willkommen“ Kampagne ist ein wichtiger Schritt zur Sensibilisierung der Mitarbeitenden der Verwaltung und der städtischen Gesellschaften. Zwischenzeitlich hat ja sogar der Gesetzgeber völlig unverhofft und glatte 50 Jahre nach den umliegenden Nachbarstaaten ebenfalls erkannt, dass es eine gesetzliche Regelung braucht, um Assistenzhunden überall Zutritt zu gewähren. Diese wurde im Mai vom Bundesrat gebilligt.

Besonders freue ich mich, dass sich auch im kulturellen Bereich einiges tut und sich die Freiburger Museen und das Stadttheater auf den Weg gemacht haben, inklusive Ausstellungen und Angebote zu entwickeln.

Ein bisschen Stolz schwingt da schon mit, trägt doch die Drucksache zu einem Gutteil die Handschrift der JUPI-Fraktion.

Der neue Aktionsplan beschäftigt sich mit einem Thema, das vielleicht nicht zu großen Schlagzeilen taugt, aber umso wichtigere Denkprozesse in Gang setzt. Barrierefreie Kommunikation im Verwaltungshandeln. Hier geht es kurz gesagt darum, dass alle Bürger*innen das Recht haben, zu verstehen, was in einem Antragsformular oder einem Bescheid der Verwaltung eigentlich drinsteht. Es geht aber auch um Öffentlichkeitsarbeit, den Internetauftritt der Stadt oder ganz schlicht um die Gesprächsführung bei einem Behördentermin. Leichte Sprache und Gebärdensprache, sind Schlagworte, die sicherlich schon alle mal gehört haben, aber wer von uns kann diese benutzen? Dabei ist Leichte Sprache nicht nur für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen verständlicher, sondern auch für Menschen die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, aber auch ich freue mich, wenn ich einen Behördenbrief beim ersten Lesen verstehe.

Nun hat die Verwaltung einen Leitfaden erarbeitet, der in vielen kleinen und einfach umzusetzenden Schritten erst einmal Sensibilisierung für die Problematiken der betroffenen Personen erzeugt und klare Handlungsempfehlungen aufzeigt. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis.

Es wird jetzt aber natürlich daran sein, diesen Leitfaden auch in die Praxis umzusetzen und die entsprechenden Stellen zu schulen. Er kann seine Wirkung nur entfalten, wenn er nicht, wie viele andere Druckerzeugnisse, irgendwo im Regal landet.

Natürlich wird es mit dem Leitfaden nicht getan sein, ein paar der Baustellen habe ich schon erwähnt. Die Öffentlichkeitsarbeit für alle Menschen verständlich und zugänglich zu machen, wird eine große Herausforderung. Hierfür wäre es sinnvoll ein eigenes Konzept zu erstellen. Welche Meldungen können und sollen künftig in leichter Sprache oder auch in Gebärdensprache verfügbar sein? Die Verwaltung hat sich hier schon auf den Weg gemacht. Leichte Sprache lässt sich nicht so einfach umsetzen, es gibt dafür speziell geschulte Personen. Ob die Verwaltung nun einzelne Druckerzeugnisse zur Übersetzung an ein Übersetzungsbüro vergibt oder ob es sich vielleicht sogar lohnen könnte, hierfür eine eigene Fachkraft einzustellen, bleibt zu überlegen.

Jedenfalls wird es nicht ohne zusätzliche Mittel gehen. Diese müssen natürlich spätestens im nächsten Doppelhaushalt eingestellt werden.

Damit komme ich zum Ende und möchte die Gelegenheit ergreifen, mich bei der gesamten Stadtverwaltung, allen voran bei Frau Baumgart und Herrn Willmann, aber auch bei den involvierten Dezernaten und natürlich beim Behindertenbeirat herzlich für den großen Einsatz bedanken. Es ist über alle Sachgebiete hinweg spürbar, dass das Thema Inklusion in der Verwaltung Fuß gefasst hat und ein starkes Umdenken begonnen hat.

Weiter so!