Sehr geehrter Oberbürgermeister Horn,

sehr geehrte Bürgermeisterin und Bürgermeister,

liebe Anwesende,

Heute ist es genau dreiundzwanzig Monate her, da waren die allermeisten von uns das erste Mal auf einem Fleck versammelt. Nicht im städtischen Rathaus oder hier in Zähringen, sondern in einem kleinen Veranstaltungsraum auf dem Gelände der VAG, wo wir gefühlt stundenlang gespannt auf die Ergebnisse der Kommunalwahl warteten.

Simon Sumbert Foto: Felix Groteloh

Als die letzten Stimmen schließlich ausgezählt waren stand erstmal eine Rekordwahlbeteiligung fest, was uns natürlich alle gefreut hat. Was viele unter uns noch mehr gefreut hat war, dass klar wurde, dass der Freiburger Gemeinderat mit dieser Wahl ein gutes Stück bunter, weiblicher und jünger wird.

Nach der Oberbürgermeisterwahl war es das zweite Ereignis innerhalb von gut einem Jahr, das die politischen Verhältnisse hier in Freiburg ziemlich durchschüttelte.

Insgesamt 22 neue Gemeinderät*innen wurden damals in dieses Gremium gewählt und auch durch viele kleinere Listen, war die Hoffnung groß, dass die Vielfalt und die Breite unserer Stadtgesellschaft jetzt noch besser in unseren Reihen abgebildet wird und gerade dadurch wichtige Projekte für alle Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt durch uns gemeinsam initiiert und umgesetzt werden können. Für mich war an diesem Abend ein wirklicher Wandel spürbar und ich war mir sicher, genau diese Zusammensetzung die richtige ist, um die Herausforderungen unserer Zeit, allen voran die globale Klimaerhitzung, die im damaligen Sommer politisch präsent war wie nie zuvor, gemeinsam in Freiburg anzugehen.

Zwei Jahre später kommen wir nun zusammen zur bisher wichtigsten Sitzung unserer Amtszeit um unseren ersten städtischen Haushalt zu beschließen und es ist klar, dass vieles anders gekommen ist, als wir es uns damals erhofft haben.

Die Krise ist eine Krise ist eine Krise und eben keine Chance. Dabei bleibt es leider auch, obwohl wir es in den letzten Monaten es manchmal geschafft haben aus der Not eine Tugend zu machen und in einigen Bereichen, wie zum Beispiel der Digitalisierung während der Pandemie Fortschritte erzielen konnten.

Denn Stand heute sind 146 Freiburger*innen durch das Coronavirus gestorben und etliche mehr werden noch sehr lange mit den Folgen ihrer Erkrankung zu kämpfen haben.

Tausende weitere Menschen in unserer Stadt haben Angst um ihre Zukunft und ihre Existenz, weil sie nicht wissen, wann und wie sie ihre Läden und Restaurants wieder öffnen können, weil sie mit den

Kulturstätten unserer Stadt auch ihren Arbeitsplatz verloren haben oder, weil sie seelisch einfach so sehr darunter leiden, dass sie ihre Familie und ihre Freunde und Freundinnen kaum sehen können. Nichts läuft wie geplant in dieser Zeit.

Und doch ist es genau diese Zeit, in der wir als Mitglieder des Gemeinderats unserer Verantwortung gerecht werden müssen und einen Haushalt beschließen, bei dem von Anfang an klar war, dass er niemals alle Wunden der Pandemie komplett verarzten kann.

Zu viele unserer Entscheidungen, die wir seit unserer Wahl nach bestem Wissen und Gewissen getroffen haben, mussten wir neu abwägen, verhandeln und häufig auch verschieben oder ganz streichen.

Wir schaffen es als Stadt in den nächsten beiden Jahren zum Beispiel nicht die Gelder für die Tariferhöhung der Menschen weiterzugeben, die oftmals die Schwächsten unserer Gesellschaft durch die Pandemie getragen haben. Obwohl es so dringend notwendig wäre, ist an einen größeren Ausbau ihrer Arbeit und somit auch ihrer Möglichkeiten aktuell nur schwer zu denken und etliche neue Zuschussanträge im sozialen Bereich konnten wir nicht gewähren, weil schlicht und einfach das Geld fehlt.

Wir schaffen es auch nicht, unsere Versprechen gegenüber den Kulturschaffenden, die unsere Stadt Tag und Nacht zum Leuchten bringen einzulösen und ihnen die vereinbarte, regelmäßige Erhöhung ihrer Förderung zukommen zu lassen.

Und wir schaffen es nicht, genügend Geld für zahlreiche, lang geplante und angekündigte Projekte, wie das Außenbecken im Westbad oder die Sanierung der Max-Weber-Schule zur Verfügung zu stellen.

Ich glaube, dass ich nicht der Einzige unter uns bin, dem solche Entscheidungen und vor allen Dingen ihre Auswirkungen Angst machen. Freiburg wird sich verändern, weil wir heute beschließen, was wir beschließen und in einigen Fällen nicht zum Besseren, weil wir zwar versuchen unsere finanziellen Spielräume soweit wie möglich auszuloten und uns so gut es geht zu Mehrheiten zusammen zu raufen, aber all das trotzdem häufig nicht ausreicht.

Sehr geehrter Oberbürgermeister,

liebe Anwesende,

Das Virus ist ein Arschloch. Es ist nicht nur eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit, sondern verstärkt auch viele Schwierigkeiten mit denen wir schon vor der Pandemie zu kämpfen hatten, die angespannte Haushaltslage ist dafür ein weiter Beleg.

Und dennoch bin ich mir sicher: Wir werden das Virus gemeinsam besiegen und wir werden nicht nur stärker, sondern auch optimistischer und solidarischer aus dieser Krise hervorgehen als sich so mancher heute vielleicht vorstellen kann. Denn in dem dicken Buch, über dessen Inhalt wir heute abstimmen, stehen nämlich nicht nur Dinge drin, die wir nicht geschafft haben, sondern schon jetzt, während die Impfkampagne immer mehr Fahrt aufnimmt, stellen wir die ersten Weichen um uns unser altes Leben zurückzuholen und es besser zu machen.

Um den Kulturschaffenden in unserer Stadt wieder eine Perspektive zu geben, beschließen wir heute einen Innovationsfonds, der besonders die Pop- und Subkultur in den Fokus nimmt und dafür sorgen wird, dass wir im Sommer Kultur auf eine Art und Weise erleben dürfen, wie wir es schon viel zu lange nicht mehr gemacht haben. Und wir schaffen durch eine Nachtbürgermeister*in bessere Strukturen um die Kulturstadt Freiburg für alle Alters- und Zielgruppen voranzubringen.

Um sicherzustellen, dass in Freiburg niemand an den Rand unserer Gesellschaft geschoben und vergessen wird, beschließen wir heute die Umsetzung neuer sozialer Projekte, die jungen Obdachlosen eine Perspektive geben und die medizinische Versorgung von Menschen ohne gültige Passdokumente ermöglichen. Wir stärken bestehende Vereine, die von sexueller Gewalt Betroffene betreuen und wir geben in Zukunft mehr Geld für Inklusion und Bildungsarbeit im Bereich der sexuellen Orientierung aus. Insbesondere in den letzten beiden Bereichen, werden wir so lange weitermachen, bis in Freiburg keine sprachliche, gedankliche oder bauliche Barriere mehr steht und jeder unaufgeklärte, graue Fleck in unserer Stadt zumindest die Möglichkeit hat, die bunte Realität kennenzulernen.

Und schlussendlich stellt sich eine Mehrheit in Freiburg unserer regionalen Verantwortung, um die globale Erderhitzung auf 1,5- Grad zu begrenzen und unseren Teil dazu beizutragen, eine weltweite Katastrophe zu verhindern.

Um unserem gemeinsamen Ziel einer klimagerechten Stadt näher zu kommen, arbeiten wir schon heute mit Tempo daran Antworten auf die globale Krise von morgen zu finden und beschließen Investitionen in Höhe von drei Millionen Euro für klimagerechte Infrastruktur. Außerdem beschleunigen wir den Wandel hin zu umweltfreundlicher und sicherer Mobilität, in dem wir die hohen Förderquoten von Bund und Land ausnutzen und unseren Fuß- und Radwegenetz massiv verbessern. Denn es ist klar, dass Klimaschutz ohne Verkehrswende nicht funktioniert und jeder investierte Euro in diesem Bereich unsere Stadt auch ein Stückchen inklusiver macht. Und weil wir wissen, dass diese Maßnahmen alleine nicht ausreichen werden, sorgen wir dafür, dass in den nächsten Haushalten durch eine Erhöhung des Klimaschutzfonds neue Standards gesetzt werden.

All diese Schritte kosten natürlich enorm Kraft und sorgen dafür, dass der städtische Schuldenstand weiter ansteigt. Die Bewältigung dieser Situation und die Konsolidierung unseres Haushaltes ist sicherlich eine der größten Herausforderungen in den nächsten Jahren. Mit dem Modernisierungsprozess der städtischen Verwaltung haben wir schon in der letzten Woche einen ersten Schritt unternommen, um den Trend umzukehren, aber ich will ehrlich sein:

Die wirklich großen Brocken gewinnen wir nur durch eine klare, politische Priorisierung. Und in diesem Kontext muss auch gesagt sein, dass ein Oberbürgermeister, der öffentlich zum Thema Klimaschutz wie ein Grüner, zum Thema Wohnen wie ein Sozialdemokrat, zum Thema Sicherheit wie ein Konservativer und zum Thema Digitalisierung wie ein Liberaler redet, kaum noch glaubwürdig ist, wenn er vom Gemeinderat anschließend besseres Erwartungsmanagement fordert, weil ja nicht alles machbar ist.

Wir in der JUPI-Fraktion haben jedenfalls, gerade weil wir alle wussten, dass dieser Haushalt schnell an Grenzen stoßen wird, in den letzten Wochen sehr viel darüber diskutiert, wie wir es dennoch schaffen können Impulse zu setzen, die mithelfen unsere Stadt sozial, kulturell und ökologisch zu stärken und zukunftsfähig zu gestalten.

Im Laufe der Verhandlungen haben wir es geschafft für viele unserer Impulse auch Mehrheiten zu gewinnen und am Ende werden voraussichtlich 25 unser 37 Änderungsanträge vom Gemeinderat angenommen. Das freut uns natürlich, nicht nur weil es eine Bestätigung unserer Arbeit ist, sondern auch bedeutet, dass wir in Freiburg viele kleine Schritte in die richtige Richtung gehen. Wir bleiben auch weiterhin auf dem Weg hin zu einer kleinen Großstadt und steigern die Attraktivität Freiburgs, selbst wenn dafür so manche harte Debatte in den letzten Wochen geführt werden musste

Sehr geehrter Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich war einer von denen, die daran geglaubt haben, als es vor 23 Monaten hieß, dass dieser Gemeinderat die Vielfalt der Freiburger Gesellschaft abbildet, wie es davor noch kein Gemeinderat vermocht hat und ich glaube weiterhin daran, dass genau das der Schlüssel ist, um gemeinsam das Freiburg der Zukunft zu gestalten. Ich habe im Verlauf der Haushaltsverhandlungen einige Stimmen vernommen, die behauptet haben, es gäbe eine neue “Power-Mehrheit” im Gemeinderat bestehend aus den Fraktionen JUPI, ESFA und den Grünen. Es stimmt ja auch, dass wir einige große Projekte in dieser Konstellation durchsetzen konnten. Aber: in diesem Haushalt steht weit mehr als die Niederschrift der Verhandlungen in den letzten Wochen. Es sind die gesammelten Ergebnisse unserer Arbeit der letzten beiden Jahre.

Und wenn man sich diesen Wälzer hier genau durchliest, dann erkennt man die Handschrift von ganz vielen Menschen aus allen Fraktionen hier im Raum, die sich für ein Herzensthema engagiert und auch etwas erreicht haben. Beispiele dafür findet man unter anderem daran, dass Wohngeldanträge bald schon schneller beantwortet oder Bildungsangebote für Neuzugewanderte stärker ausgebaut werden.

Und das ist das Ergebnis, was für unsere Stadt und für unsere politische Arbeit so viel mehr wert ist, als jede knappe Mehrheitskonstellation für sich, denn es zeigt, dass wir die Zukunft Freiburgs im Konkreten alle gemeinsam in der Hand haben. Jeder Demokrat und jede Demokrat*in hier im Raum kann etwas bewirken, wenn man denn bereit ist, sich auf die neue Vielfalt dieses Gremiums einzulassen und im Gespräch miteinander inhaltliche Kompromisse auszuhandeln. Wer genau dazu nicht bereit ist, der wird wohl entweder damit leben müssen, dass man nur einen ganz kleinen politischen Fußabdruck hinterlässt, weil die Ära der starren, konservativen Mehrheiten in Freiburg vorbei ist und so schnell auch nicht wiederkommt.

Oder man muss damit leben, dass sich siebenundzwanzig kleine Stadträt*innen auch mal zusammentun und einem groß wirkenden Oberbürgermeister standhaft Paroli bieten, wenn er meint, dass SocialMediaPosts und Interviews in der lokalen Presse ausreichen, um inhaltliche Streitpunkte plattzuwalzen.

Die zweiundzwanzig Neuen, die vor 23 Monaten gewählt wurden, bringen frischen Wind plus neue Ideen und das tut einer Demokratie gut. Damals wurde ein Wandel gewählt und ich bin ehrlich gesagt überrascht, wie überrascht manche sind, dass sich das nun auch im Haushalt bemerkbar macht. Wir haben jedenfalls noch nie ein Gesprächsangebot unter Demokrat*innen abgelehnt um auf Augenhöhe über verschiedene Meinungen und Strategien zu reden und am besten auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.

Und wir werden das auch in Zukunft nicht tun, denn wir sind überzeugt, dass genau dieses Vorgehen am Ende dazu führt, dass wir in großer Mehrheit zu den gemeinsamen Ergebnissen kommen werden, die effektiv etwas bewirken gegen die dramatischen sozialen, kulturellen und finanziellen Folgen der Pandemie. Zu den gemeinsamen Ergebnissen, die den Weg aufzeigen, wie wir unseren fairen, regionalen Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise leisten werden. Zu den gemeinsamen Ergebnissen, die unsere Stadt im Gesamten voranbringen werden.

Und genau das ist es, was Hoffnung gibt, gerade in dieser Zeit.

Dankeschön.