Sophie Kessl, Stadträtin Die PARTEI

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, geschätzte Kolleginnen, werte Frau Thomas,

zu Beginn ein kleiner Hinweis: ich halte diese Rede in weiblicher Form – konsequenterweise hätte ich dann wohl auch Frau Oberbürgermeisterin sagen müssen – aber ich wollte verhindern, dass von konservativer Seite jemand einen Herzinfarkt bekommt.

Also – wir sprechen heute über das Thema Gleichstellung der Geschlechter und wenn frau den Bericht gelesen hat, stellt sie fest, es hat sich leider nicht so wirklich was verbessert. Ein bisschen was in der Stadtverwaltung, ein bisschen was im Gemeinderat – dieser Fortschritt hat sich allerdings durch die meist männlichen Nachrückerinnen seit Beginn der Legislatur auch schon wieder erübrigt. Viel rechnen musste ich da nicht: wir sind nun wieder bei genau einem Drittel angelangt. Also ich wünsche mir wirklich einiges von 2014 zurück:  „Happy“ von Pharell Williams läuft im Radio, der legendäre 54. Hessentag in Bensheim, wir sind uns noch nicht der schrecklichen Klimakatastrophe, die auf uns zu rollt, bewusst und mit der 215. Ausgabe endet zum Glück die mehr als 33-jährige Geschichte von „Wetten, dass..?“ – leider nur kurz. Nun – die Retrowelle ist ein Ding, Nazis im Bundestag, „Wetten dass..?“ ist wieder da und bei der Parität sind wir nun wieder auf dem Schnitt von 2014 gelandet, aus feministischer Sicht ist das sehr enttäuschend.

Frauen sind bei öffentlichen Entscheidungen meist unterrepräsentiert, in der Kommunalpolitik, in Führungspositionen der öffentlichen Verwaltung und natürlich auch in der Wirtschaft. Es gibt beispielsweise mehr Bürgermeister namens Thomas als Bürgermeisterinnen in Deutschlands größeren Städten. Frauenbeauftragte mit Nachnamen Thomas sind leider nicht eruiert.

Einzelne Vorzeige-Frauen oder Girlbosse in Unternehmen ändern übrigens nichts an der Situation. Ich habe mal nachgeschaut: 71 der 160 Börsenunternehmen haben in ihren jeweiligen Vorständen eine Frau – nur eine Frau – und die ist meist weiß und privilegiert. Schöne Grüße an Verena Bahlsen.

In meiner Partei haben wir das mal mit einem 100 tägigen Männeraufnahmestopp geregelt. Vielleicht als kleine Anregung.

Von der „Gender-Pay-Gap“ haben hier hoffentlich alle schon einmal gehört, aber kennen sie die „Gender-Data-Gap“? Diese Lücke beschreibt im Prinzip Produkte, von Smartphones über Crashtest-Dummies (und damit meine ich nicht diese furchtbare Band) bis hin zu Medikamenten, bei denen Frauen nicht mitbedacht werden. So erkennen beispielsweise Sprachassistentinnen wie Siri oder Alexa (per Standardeinstellungen sind das Frauen, die uns zu Diensten sind) leichter tiefere Stimmen und auch medizinische Tests werden häufig nur an nichtweiblichen Personen durchgeführt, was dazu führt, dass diese Medikamente bei Frauen anders oder sogar falsch wirken können!

Auf der einen Seite schneiden Mädchen besser in den Abschlüssen ab als die Jungs – man stelle sich nur vor, die würden dann auch noch die ganze Kohle nach Hause bringen! Auf der anderen Seite sind es die Frauen, die sich v.a. auch während Corona, wieder vermehrt um die wohlgemerkt unbezahlte Carearbeit gekümmert und/oder damit auch in Teilzeit gearbeitet haben.

Frauen sind dadurch öfter von Armut betroffen – wenn man in den aktuellen Bericht der Wohnungsnotfallhilfe schaut, wird die Dringlichkeit nach Wohnplätzen v.a. für Frauen klar ersichtlich.

Das Thema Femizide sollte außerdem mehr in den Fokus rücken, deutschlandweit sind wir mittlerweile bei 89 Femiziden – in Freiburg sind es dieses Jahr schon drei. Vielleicht wäre es im nächsten Bericht auch sinnvoll das zu erwähnen, im Zuge des Abschnitts über häusliche Gewalt.

Wir schreiben das Jahr 2123, die Gender Pay Gap ist geschlossen, es werden keine Kriege mehr auf dem Rücken von Frauen und Kindern geführt, Frauen können nachts ohne Angst nach Hause gehen – aber leider ist die Erde mittlerweile unbewohnbar. Vielleicht lassen die Menners uns ja auch mal früher ran an die Macht.

Zum Schluss noch ein kleiner Servicehinweis: in der aktuellen Titanic gibts einen Artikel zum Thema Geschlechtergerechtigkeit und Matriachat – kaufen sie es oder schließen sie gleich ein Abo ab – dann haben auch Sie mal ab und zu was zu lachen!

Vielen Dank