Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich freue mich aufrichtig, Sie heute hier zu sehen. Unsere letzte Begegnung in diesem Kreis fand Mitte Februar statt, und ich wage zu behaupten, dass niemand von uns zu dem Zeitpunkt vorhersehen konnte, welche drastischen Einschnitte in all unsere Leben uns bevorstehen würden. 

www.jupi-freiburg.de Foto: Felix Groteloh

Die Komplexität dieser Herausforderung, vor der wir als Kommune aber auch als menschliche Wesen gestellt wurden, ist psychisch, wirtschaftlich, sozial, politisch und gesundheitlich von enormem Ausmaß. Die Stadtverwaltung hat in den letzten Monaten sehr vieles richtig gemacht. Unsere Fraktion begrüßt, dass in Freiburg und den angrenzenden Landkreisen schon frühzeitig Maßnahmen ergriffen wurden. Dadurch, dass in so vielen Bereichen sehr vorausschauend agiert wurde, sind wir – coronamäßig – mit einem blauen Auge davon gekommen. Wir verstehen, dass die Bekämpfung der direkten Folgen des Virus priorisiert werden musste. Das bedeutet nicht, dass die indirekten oder sekundären Folgen ignoriert, verkannt, oder unterbewertet werden. Der Umgang mit diesen sekundären Folgen der Pandemie wird mit Sicherheit unsere politische Arbeit der restlichen Amtsperiode prägen.

Wir haben in den letzten Monaten erlebt, wie die Grenzen um uns herum nach und nach geschlossen wurden. Für uns im Dreiländereck war diese Maßnahme besonders spürbar. Dass es trotz dessen möglich war, Erkrankten aus dem Elsass eine Behandlung in unseren Kliniken und denen des Umlandes zu ermöglichen, hat bei vielen von uns einen Funken Hoffnung am Leben gelassen, die Europäische Union nicht nur als Union der Wirtschaft, sondern auch weiterhin als eine Union der Werte betrachten zu können. Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, wir danken Ihnen um Ihre Bemühungen in dieser Angelegenheit und in Ihrem Bestreben, auch weiterhin lösungsorientierte Dialoge über die Grenzen hinweg am Leben zu erhalten.

Dankbar sind wir auch, dass (kleinere Vorkommnisse am Rande) in den vergangenen Wochen das Recht der Freiburger Bürgerinnen und Bürger auf Demonstrationen gewahrt werden konnte. Meinungsfreiheit ist eines der höchsten Güter einer Demokratie. Diese werden wir nach wie vor verteidigen. Auch, wenn diese Meinungen nicht immer unserer eigenen entsprechen, oder sogar stark davon divergieren. Und auch, wenn es bestimmten Menschen nicht schaden könnte, sich mit der Definition von Meinungsfreiheit vertraut zu machen. 

Lassen Sie mich meine Redezeit aber nicht nur für das Positive nutzen, sondern auch für eine kritische Perspektive: Denn das koordinierte Vorgehen, welches im Bereich Gesundheitsschutz so spürbar war, war in anderen Bereichen weniger sichtbar. Gastronomie und Einzelhandel waren darauf verwiesen, sich selbst – z. B. durch die Einrichtung von Lieferdiensten und Abholservice – zu helfen. Während weitreichende Öffnungen für den Einzelhandel beschlossen wurden, stehen gastronomische Betriebe vor großen Herausforderungen, ihren Betrieb unter den bestehenden Auflagen weiter zu öffnen. Kneipen, Bars und Clubs, kulturelle und subkulturelle Einrichtungen sind in ihrer Existenz bedroht und unseren Mitmenschen fehlen wichtige soziale Orte der Begegnung. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese wichtigen sozialen Orte durch Corona von der Bildfläche verschwinden. Die Ausweitung der Außenflächen in der Gastronomie ist ein wichtiger Anfang, doch sind weitere kreative Unterstützungsangebote gefragt. Nach einer kurzen Schockstarre wurden Soziale Hilfen aufrechterhalten und die Notbetreuung für Kinder eingerichtet und ausgebaut.

Gleichwohl mussten wir ein Informationsdefizit zu den Abläufen, Bedingungen der Inanspruchnahme und dem Schutz von Mitarbeitenden feststellen. Das ganze Ausmaß der Begleiterscheinungen und Folgen der getroffenen Maßnahmen wie soziale Isolation in Einrichtungen für ältere oder psychisch beeinträchtigte Menschen oder bei Alleinstehenden und Familien werden wir erst mit der Zeit erfassen können. Wir müssen unserer Verantwortung gerecht werden, nicht nur den Gesundheitsschutz, sondern auch dessen negative Auswirkungen und Begleiterscheinungen in den Blick zu nehmen und durch entsprechende Maßnahmen entgegenzuwirken. Hierzu gehört auch eine Evaluation  diskutabler Vorfälle bezüglich der Verordnung von Bußgeldern bei Verstößen gegen Corona-Auflagen, weshalb wir eine entsprechende Anfrage zur Aufklärung dieser Fälle an die Stadtverwaltung gestellt haben. Wir haben als Kommune in Sachen Gesundheitsschutz vor den Entscheidungen auf Länder- und Bundesebene agiert – lassen Sie uns bezüglich des sozialen und kulturellen Miteinanders ebenso zügig, entschlossen und eigenverantwortlich handeln. 

Hierbei ist es elementar als politische Vertretung für die Bürgerinnen und Bürger ansprechbar zu sein.. Wir sind auf die Rückmeldungen unsere Mitmenschen angewiesen, um  Verfehlungen und Optimierungspotenzial zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen anzuregen. 

Stellvertretend für meine Fraktionskollegen möchte ich mich bei allen Bürgerinnen und Bürgern bedanken, die in den letzten Wochen Kontakt zu uns und auch anderen Fraktionen aufgenommen haben. Natürlich erreichte auch uns Kritik, die wir nicht konstruktiv nutzen konnten – doch auch für diese müssen wir weiterhin offen sein. Es liegt an uns einen Umgang hiermit zu finden. 

Lassen Sie uns die kommende Zeit nutzen, Rückmeldungen aus der Stadtgesellschaft einzuholen, gemeinsam die Schwachstellen dieser herausfordernden Zeit zu identifizieren, Handlungsalternativen zu erarbeiten und mutig innovative Wege zu gehen. Dabei können wir auf das Kreativitätspotenzial und die Mitmenschlichkeit in unserer Stadt bauen – umgekehrt müssen die Bürgerinnen und Bürger auf eine Politik vertrauen können, die bereit ist, gleichermaßen mutig und besonnen nach Vorne zu gehen.